Waldnaturschutz soll effizienter werden – Nachbericht zum Forum Waldkontroversen 2019
In der dritten Auflage des Forums Waldkontroversen ging es 2019 um das Thema „Vom Spechtbaum bis zum Nationalpark: Wieviel ungenutzte Waldfläche brauchen wir – und wie soll sie verteilt sein?“. Darüber diskutierten am 25. Oktober 2019 über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Praktikern im SWO Tagungszentrum der Universität Bayreuth. Wie bereits in den vergangenen Jahren waren an Konzeption, Planung und Durchführung der Veranstaltung neben der Campus-Akademie für Weiterbildung das Bayreuther Zentrum für Ökologie und Umweltforschung (BayCEER) sowie der Ökologisch-Botanische Garten (ÖBG) beteiligt. Freitags startete die Veranstaltung mit einer Vortragsreihe und anschließender Podiumsdiskussion, während am Samstag 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zur Exkursion in die Oberpfalz fuhren.
Olaf Schmidt (links im Bild) und Dr. Gregor Aas bei den Waldkontroversen 2019
Dr. Gregor Aas, Direktor des ÖBG Bayreuth, eröffnete das Forum mit einer Frage, die derzeit viele Menschen bewegt: Wie wirkt sich die Bewirtschaftung des Waldes auf die Biodiversität aus, und wie kann diese Diversität am besten erhalten und gefördert werden? „Bis 2020 soll sich gemäß politischen Vorgaben der Wald in Deutschland auf 5 % der Fläche ohne forstliche Nutzung natürlich entwickeln können“, so Aas „In der Folge stellt sich also die Frage, ob diese Fläche ausreicht, um Biodiversität zu erhalten, und welche Waldflächen zu ungenutzten Wäldern werden sollen.“ Die aktuelle Situation des Waldes sei Aas zufolge besorgniserregend und werde sich durch den voranschreitenden Klimawandel weiter verschlechtern. Dies ist umso bedenklicher, da der Wald eine Vielzahl von Funktionen für Mensch und Natur erfüllt, wie Dr. Andreas Schweiger vom Lehrstuhl für Pflanzenökologie am BayCEER im nachfolgenden Vortrag betonte. Der Wald liefert den wertvollen Rohstoff Holz, sauberes Trinkwasser, schützt das Klima, ist Lebensraum für viele Tier-, Pilz- und Pflanzenarten und ein Ort der Erholung für die Menschen. „Dies sorgt aber auch für Konfliktpotenzial, denn im Wald kollidieren eine Menge Erwartungen hinsichtlich Dienstleistungen und Nutzungsinteressen“, so Schweiger. Geht es um den Natur- und Artenschutz im Wald, so ist allerdings in vielen Fällen überhaupt nicht klar, was eigentlich als schützenswert gelten kann, so Schweiger in seinem Fazit.
Prof. Dr. Jörg Müller von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg forderte mehr Effizienz für den Waldnaturschutz
Ein Plädoyer für effizienteren Waldnaturschutz hielt Prof. Dr. Jörg Müller von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Er betreibt seit Jahrzehnten Forschungen in einem der größten Schutzgebiete Deutschlands, dem Nationalpark Bayerischer Wald. „Jeder redet mit, aber nicht jeder hat Ahnung“, stellte er gleich zu Beginn in den Raum und provozierte weiter: „Das, was wir momentan im Waldnaturschutz machen, ist sehr wenig effizient.“ Ressourcen sollten dort eingesetzt werden, wo sie die beste Wirkung erzielten. „Naturschutz und Forst vergeuden in der Diskussion um Waldnaturschutz viel Zeit mit Grundsatzdebatten und Kompetenzstreitigkeiten. Hingegen haben die Forstbehörden keine ausreichenden Fachkenntnisse, um Waldnaturschutz effizient umzusetzen“, beurteilte Müller die aktuelle Lage. Dabei seien die derzeitigen Störereignisse im Wald zwar eine Katastrophe für die Forst- und Holzwirtschaft, nicht aber für den Lebensraum Wald als solchen, denn sie würden den Wald vielfältiger machen.
Diplomforstwirtin Gudula Lermer bei ihrem Vortrag zum Thema "Waldnaturschutz im bewirtschafteten Wald"
Für ein vorausschauendes und verantwortungsvolles Waldmanagement warb auch Diplomforstwirtin Gudula Lermer, Leiterin des Forstbetriebs Neureichenau bei den Bayerischen Staatsforsten (BaySF). Dem Wald gehe es zunehmend an die Substanz: Dürreperioden, Schneebruch und Borkenkäfer machten ihm zu schaffen, Kiefer, Buche und Eiche seien in ihrem Bestand stark bedroht. Für all diese Probleme gibt es jedoch keine schnellen Lösungen, wie Olaf Schmidt in seinem Vortrag verdeutlichte. „Wälder sind langlebig, das heißt, es dauert sehr lange, bis sich wirklich etwas ändert“, so der Präsident der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft. „Arten kennen weder Nutzungs- noch Schutzkonzepte, sie reagieren auf Strukturen und diese wiederum entstehen durch dynamische Zufallsprozesse. Diese Strukturvielfalt wiederum schafft Nischenvielfalt.“ Als Naturschutzmaßnahmen empfahl Schmidt unter anderem den Umbau von Nadelholzreinbeständen in Mischwälder sowie die Begründung und Pflege naturnaher Wälder. Sowohl Schmidt als auch sein Nachfolgeredner Dr. Norbert Schäffer, Vorsitzender des Landesbunds für Vogelschutz in Bayern (LBV), betonten die Wichtigkeit von Totholz für die Artenvielfalt im Wald. „Was wir brauchen, sind alte Wälder und viel Totholz“, so Schäffer. Der Forderung, dass in Zukunft mehr Wälder stillgelegt werden sollten, um die Diversität zu erhöhen, widersprach klar und deutlich zuletzt der Pflanzenökologe und Forstwissenschaftler Prof. Dr. Detlef Schulze. Seiner Hypothese nach weise ein Wirtschaftswald eine höhere Diversität auf als ein ungenutzter Wald. Die Frage, welche Flächen ohne Holznutzung bleiben sollten, beantwortete Schulze lapidar mit „Keine“.
Reger Austausch bei der abschließenden Podiumsdiskussion
Nicht nur unter den Vortragenden, sondern auch bei den Teilnehmenden des Forums kam es in der anschließenden Podiumsdiskussion zu Differenzen. So beanstandete eine Teilnehmerin, dass der Privatwald und seine Besitzerinnen und Besitzer in der allgemeinen Debatte viel zu kurz kämen. „Es gibt viele Privatwaldbesitzer, die leben von ihrem Wald“, sagte sie und weiter: „Das ist ein Einkommen. Einfach warten – da werden einige Waldbesitzer verhungern.“ Die Forderung, dass der Privatwald stärker mit einbezogen werden sollte, unterstützte auch Gregor Aas. Privatwälder werden oft weniger intensiv, mitunter sogar gar nicht bewirtschaftet und seien deshalb vielerorts diverser als Staatswälder. Auch die Frage, welche Arten und insbesondere ob auch nicht-heimische Baumarten angesichts des Klimawandels neu gepflanzt werden sollten, wurde kontrovers diskutiert. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion hatten Teilnehmende wie Vortragende noch die Möglichkeit, in entspannter Atmosphäre miteinander ins Gespräch zu kommen und weiter zu debattieren.
In diesem Jahr fuhren die Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer in die Oberpfalz
Die Exkursion am 26. Oktober führte unter dem Motto "Wirtschaftlichkeit und Artenvielfalt im Privatwald" in den 3.000 ha großen Forstbetrieb des Freiherr von Gemmingen-Hornberg in der Oberpfalz. Bei einer Wanderung wurde an verschiedenen Stationen im Wald Halt gemacht und diskutiert, insbesondere über den Wald(um)bau in Zeiten des Klimawandels, den Erhalt von Biotopbäumen und das Freihalten von Felsbiotopen oder artenreichen Bachtälern durch Beweidung. Viel Diskussionsstoff bot das Thema Jagd. Hier verfolgt die Güterverwaltung Friedenfels das Ziel "Wald UND Wild" mit einem Konzept, das dem Rotwild strikte Ruheflächen und -zeiten gewährt und so die Naturverjüngung der Hauptbaumart Fichte ermöglicht, ohne Zäune zu ziehen oder die Zahl der Tiere übermäßig drastisch zu reduzieren.
Nach der Mittagspause auf der malerischen Burgruine Weißenstein und einer kurven- wie spannungsreichen Busfahrt hinunter war die letzte Station ein wiedervernässtes Moor am Spitzerberg. Die gut 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten viele Ansätze aus den Vorträgen vom Vortag wiederentdecken, haben wunderschöne Ecken des Steinwalds kennen gelernt und darüber hinaus gesehen, von wo in diesem Jahr die den Waldkontroversen gesponserten Getränke kamen: von der Brauerei Friedenfelser in Friedenfels.
Auch im Jahr 2020 soll es wieder ein Forum Waldkontroversen geben, diesmal zum Thema „Ressource Holz: zu schade zum Verbrennen oder es verfaulen zu lassen?“. Der hierfür geplante Termin ist der 23. Oktober für Vorträge und Diskussionen und der 24. Oktober für eine Exkursion. Weitere Informationen finden sich hier oder auf der Waldkontroversen-Website.
Redaktion: Anna-Theresa Lienhardt
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